Unterschlagung während der Probefahrt

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Mal ganz ehrlich – also ich bin immer wieder verwundert darüber, dass bei Probefahrten nicht viel öfter eine Unterschlagung des schicken Neuwagens erfolgt. Und nun ist es tatsächlich passiert. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte die Frage auf seinem Richtertisch, ob ein Auto, das einem vermeintlichen Kaufinteressenten für eine unbegleitete Probefahrt überlassen wurde, als im Sinne des Gesetzes „abhandengekommen“ anzusehen ist, wenn es nicht zurückgebracht wird.  Die Beantwortung dieser langen und komplizierten Frage hat nämlich erhebliche Konsequenzen für die Frage nach dem Eigentum an dem Fahrzeug.

Was war geschehen?

Die Klägerin ist Inhaberin eines Autohauses. Dort erschien ein potenzieller Kaufinteressent für einen als Vorführwagen genutzten Mercedes-Benz V 220 d. Der Wagen hatte einen Wert von 52.900 €. Der Interessent wusste genau, was zu tun ist. Er legte hochprofessionelle Fälschungen eines italienischen Personalausweises, einer Meldebestätigung einer deutschen Stadt und eines italienischen Führerscheins vor. Im Gegenzug bekam er das mit einem roten Kennzeichen versehene Fahrzeug für eine unbegleitete Probefahrt von einer Stunde übergeben. Dazu erhielt er den Fahrzeugschlüssel, das Fahrtenbuch und das Fahrzeugscheinheft sowie eine Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I. Basis war ein sogenannter „Fahrzeug-Benutzungsvertrag“. Das Ergebnis lässt sich erahnen: Der „Interessent“ und das Fahrzeug kehrten nicht zurück.

Die Beklagte besuchte kurze Zeit später ein Internetverkaufsportal. Dort erweckte ein von einem Privatverkäufer angebotenes Fahrzeug ihr Interesse, ein Mercedes-Benz V 220 d. Die Beklagte war gutgläubig und schöpfte keinen Verdacht. Sie schloss mit dem Verkäufer einen Kaufvertrag über den fraglichen Wagen. Nach Zahlung des Kaufpreises von 46.500 € gab es das Fahrzeug, die Zulassungspapiere und einen passenden sowie einen weiteren, nicht dem Fahrzeug zuzuordnenden Schlüssel.  Als die Beklagte das Auto anmelden wollte, gab es die böse Überraschung: Die Behörde lehnte das ab. Das Fahrzeug war zwischenzeitlich als gestohlen gemeldet.

Es geht zu Gericht!

Die Klägerin klagt und die Beklagte erhebt im gleichen Verfahren eine Widerklage. Beide verfolgen natürlich unterschiedliche Interessen. Die Klägerin fordert die Herausgabe des Fahrzeuges und des Originalschlüssels. Die Beklagte verlangt die Herausgabe der Original-Zulassungspapiere und des Zweitschlüssels. Die Sache ist kompliziert. Das wird schon dadurch deutlich, dass in der 1. Instanz die Beklagte und in der 2. Instanz die Klägerin erfolgreich waren.

Und das sagt der BGH:

Die Richter beim BGH vervollständigen das „Zick-Zack-Muster“ der Entscheidungen. Sie stellen das Ergebnis der 1. Instanz wieder her.

Die Klägerin hat keinen Herausgabeanspruch, da sie das Eigentum an dem Fahrzeug verloren hat. Eigentümerin ist die Beklagte, da sie das Auto gutgläubig erworben hat. Dieser gutgläubige Erwerb der Beklagten scheitert nicht an § 935 BGB. Dann hätte das Auto der Klägerin gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen sein müssen. Ist es aber nicht. Voraussetzung ist nämlich ein unfreiwilliger Besitzverlust. Und daran fehlt es.

Auch wenn die Besitzübertragung auf einer Täuschung beruhen mag, handelt es sich hier nicht nur um eine bloße Besitzlockerung für die vereinbarte Dauer der Probefahrt. Es ist vielmehr ein vollständiger Besitzübergang auf den (vermeintlichen) Kaufinteressenten. Der BGH hat dann auch noch überprüft, ob der Interessent vielleicht nicht nur ein bloßer Besitzdiener der Klägerin und damit nicht vollumfänglicher Besitzer gewesen ist. Die Richter verneinen aber diese Frage, so dass von einem richtigen und vollständigen Besitzübergang aus den Kaufinteressenten auszugehen ist.

Die nicht erfolgte Rückgabe des Fahrzeugs an die Klägerin mag strafrechtlich vielleicht eine Unterschlagung sein und damit zu Ansprüchen gegen den verschwundenen „Kaufinteressenten“ führen. Sie stellt aber kein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB dar. Damit konnte der Mercedes von der späteren Käuferin gutgläubig erworben werden. Logische Konsequenz: Die Beklagte gewinnt ihre Widerklage und darf nun von der Klägerin die Herausgabe der Original-Zulassungspapiere verlangen.

Kein Auto, kein Geld, aber dafür hohe Anwalts- und Gerichtskosten über drei Instanzen. Das ist wirklich „dumm gelaufen“ für die Klägerin.

BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 8/19

(Foto von Peter H bei Pixabay)

 

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